Akute Bedrohungslagen (Terrorismus, Cyberangriffe) und dramatische Notsituationen, wie beispielsweise während des Jahrhunderthochwassers im Juli 2021, rücken den effektiven und umfassenden Schutz unserer kritischen Infrastrukturen ins Zentrum des nationalen Interesses. Zugleich erleben immer mehr Bereiche des öffentlichen Lebens endlich den langersehnten Digitalisierungsschub durch Techniken der computergestützten Modellierung und Simulation sowie des maschinellen Lernens und der künstlichen Intelligenz. Die Universität der Bundeswehr München (UniBw M) hat deshalb im Rahmen von dtec.bw das Forschungsprojekt »RISK.twin« ins Leben gerufen. Unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Alexander Popp entwickelt »RISK.twin« im Verbund von Ingenieur-, Natur-, Human- und Politikwissenschaftlern theoretisch fundierte, aber zugleich praxistaugliche Werkzeuge für den verbesserten Schutz kritischer Infrastrukturen. Schwerpunkte bilden dabei die Sektoren Transport und Verkehr, Energie, Wasser sowie Staat und Verwaltung. Am Montag, 15. November 2021 fand an der UniBw M der »RISK.twin« Kick-Off Workshop statt, bei dem neben der Projektstrategie auch erste Forschungsergebnisse diskutiert wurden.
Lebensadern moderner Gesellschaften
Kritische Infrastrukturen sind die unverzichtbaren Lebensadern moderner, leistungsfähiger Gesellschaften. Gemäß Definition in der KRITIS-Strategie, die bereits 2009 unter Federführung des Bundesministeriums des Innern (BMI) entstand, handelt es sich bei kritischen Infrastrukturen um »Organisationen und Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden«. Man denke beispielhaft an Bauwerke der Verkehrsinfrastruktur wie Autobahn- und Eisenbahnbrücken, an Anlagen der Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung oder an Elektrizitäts- und Telekommunikationsnetze.
Digitale Zwillinge sind als detailgetreue, daten- und physikbasierte, virtuelle Abbilder realer technischer Systeme zu verstehen, welche sich im Gegensatz zu klassischen Simulationsmodellen durch Sensordaten ständig adaptieren, aktualisieren und weiterentwickeln lassen. Digitale Zwillinge sind für vielfältige Aufgaben bei Optimierung, Simulation (Echtzeitprognosen), Monitoring und Überwachung sowie als virtuelle Lernumgebungen (Virtual Reality) und zur Unterstützung von politischen Entscheidungsprozessen einsetzbar. Während klassische, physikbasierte Simulationsverfahren und datenbasierte Ansätze heute zumeist als unversöhnliche Gegenpole aufgefasst werden, wird in diesem Vorhaben erstmals im Bereich der kritischen technischen Infrastruktur das aktuelle Forschungsparadigma des »hybriden« digitalen Zwillings aufgegriffen und weiterentwickelt. Dadurch können die jeweiligen Vorzüge von physikbasierter Simulation (z. B. parametrische Modelle) und datenbasierten Ansätzen (z. B. direkte Nutzung von Sensordaten und Expertenwissen) miteinander vereint und neue Forschungsimpulse geschaffen werden.
Interdisziplinär und anwenderorientiert
Zum Forschungsprojekt »RISK.twin« haben sich unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Alexander Popp neun Professorinnen und Professoren aus fünf Fakultäten der zwei Universitäten der Bundeswehr München und Hamburg sowie insgesamt 15 wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter dem Leitthema »Digitaler Zwilling« zusammengeschlossen. Der Kick-Off-Workshop am 15. November konnte das breite, aber dennoch ineinandergreifende Portfolio an Forschungsideen aufgezeigen: praxisnahe Themen wie Structural Health Monitoring von Brücken oder Sektorenkopplung von Abwasserversorgung und Energiemanagement treffen bei »RISK.twin« auf Aspekte der mathematischen Modellbildung und Simulation, des physik-informierten maschinellen Lernens und der Modellreduktion und werden gleichzeitig von Fragestellungen der Kommunikation durch Virtual Reality (VR)-Lernumgebungen, der Nutzerakzeptanz und der Einbindung digitaler Zwillinge in politische Entscheidungsprozesse flankiert.
Eine entscheidende Rolle im Sinne der Interdisziplinarität von »RISK.twin« und im Sinne der konkreten Nutzer- und Anwendungsorientierung spielt der zu Projektbeginn ins Leben gerufene und hochkarätig besetzte wissenschaftliche Beirat unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. habil. Norbert Gebbeken. Als Mitglieder des Beirats konnten Gunther Adler (Autobahn GmbH), Laura Lammel (Lammel Bau GmbH & Co. KG), Prof. Gerhard Müller (TU München), Prof. Wolfgang Günthert (DWA-Landesverband Bayern), BrigGen a.D. Prof. Matthias Geitz (Bundeswehr) und Robert Schmid (Bayerisches Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr) gewonnen werden. Im Rahmen des Kick-Off-Workshops am 15. November überzeugten sich die Beiräte nicht nur von den bisherigen Projektfortschritten, sondern sie werden »RISK.twin« auch in den kommenden Jahren durch wertvolle externe Blickwinkel aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Bundeswehr stärken und in die Praxis hinein vernetzen.
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