KISOFT – Optimierung von QDA-Software durch Künstliche Intelligenz

Im KISOFT Projekt wird in einem quasi-experimentellen Setting ausgelotet, inwiefern Personen durch Anwendungen künstlicher Intelligenz beim Interpretieren mit einer am Lehrstuhl Erwachsenenbildung/Weiterbildung entwickelten »Qualitative Data Analysis« (QDA)-Software bei der Suche nach neuen überraschenden Sichtweisen unterstützt werden können. Aus sozial- und geisteswissenschaftlicher Sicht ist hierbei die Frage interessant, inwiefern sich durch diese neue Mensch-Technik-Relation auch die Art und Weise interpretativen Handelns und damit der Zugang zum empirischen Gegenstand selbst verändert.


Projektlaufzeit: 01.09.2021 bis 31.12.2024


Interpretierendes, analytisches Schlussfolgern auf der Basis von offenen Gesprächen, Interviews und Gruppendiskussionen, aber auch aus bildhaften Informationen oder Dokumenten – also von nicht vorstrukturierten Alltagsinformationen – ist sowohl im zivilen als auch im militärischen Bereich eine immer wichtiger werdende Kompetenz. Induktive und deduktive Verfahren des Schlussfolgerns laufen jedoch Gefahr, immer nur bekanntes Wissen zu reproduzieren. Um genuin neue Sichtweisen auf einen Gegenstand zu erschließen, sind deshalb systematisch abduktive Formen des Schlussfolgerns nötig. »Abduktion« wurde von Charles S. Peirce als eine riskante, vielleicht plausible Hypothese gefasst, die, wenn sie denn zuträfe, ein unverständliches empirisches Ereignis erklären würde. Bei der »Dokumentarischen Methode der Interpretation« nach Ralf Bohnsack stehen solche Modi des abduktiven Schließens im Mittelpunkt (mit anschließender induktiver und deduktiver Überprüfung der gewonnenen Hypothesen). Die Methodologie wird am Lehrstuhl Erwachsenenbildung/Weiterbildung der UniBw M erfolgreich in der Lehre eingesetzt.

Die spezifische Form des Interpretierens mit der dokumentarischen Methode wird durch die am Lehrstuhl Erwachsenenbildung/Weiterbildung entwickelte Forschungs-, Lehr- und Lernsoftware DokuMet QDA unterstützt. Im Gegensatz zu herkömmlicher QDA-Software, mit der Textstellen codiert und zumeist dekontextualisiert zusammengeführt werden, ermöglicht DokuMet QDA ein sinnrekonstruktives Arbeiten mit unterschiedlichsten empirischen Materialien bei gleichzeitiger Möglichkeit, die Ergebnisse zu abstrahieren und typisierend zu verdichten. In die Software ist zudem ein umfangreiches Hilfesystem implementiert, mit dem ein selbstständiges Erlernen der Software ermöglicht wird.


Grafische Darstellung der Forschungs-, Lehr- und Lernsoftware DokuMet QDA und KI-Anwendungen

Links: Methoden in DokuMet QDA | © Universität der Bundeswehr München, Burkhard Schäffer
Rechts: Kombination von DokuMet QDA, KI und Interpretierenden | © Universität der Bundeswehr München, Burkhard Schäffer

Grafik 1: https://towardsdatascience.com/coding-neural-network-forward-propagation-and-backpropagtion-ccf8cf369f76
Grafik 2: https://dokumet.de/startseite-betatest
Detaillierte Bildbeschreibung aufklappen >

Auf der linken Seite ist die Übersicht der unterschiedlichen empirischen Methoden (wie Interviews, Bildbeobachten, usw.), die in DokuMet QDA genutzt werden können und in die Formulierende, Reflektierende und Typenbildende Interpretation einfließen abgebildet.
Auf der rechten Seite wird in der Darstellung die Kombination von DokuMet QDA mit Anwendungen Künstlicher Intelligenz und der menschlichen Interpretation der Ergebnisse gezeigt.

Im KISOFT Projekt wird nun in einem agilen Forschungs- und Entwicklungsprozess eruiert, inwiefern die Software unter Zuhilfenahme künstlicher Intelligenz (KI) optimiert werden kann. Dies soll über die Anbindung der Software an ausgewählte bereits entwickelte KI-Implementationen zur »Natural Language Analysis« bewerkstelligt werden.

Forschungsleitende Fragen sind hier: Lassen sich Schnittstellen von DokuMet QDA zu bereits bestehenden KI-Applikationen entwickeln, sodass das Programm

  1. Anfragen an diese KIs stellen kann (z. B. indem es ein Set von Interviews dort einspeist), die dann
  2. von dieser KI bearbeitet und
  3. das Ergebnis an DokuMet zurückgesendet und dort den Interpretierenden zur Verfügung gestellt wird?

 

Die Frage ist hier, ob sich die Systeme so aufeinander kalibrieren lassen, dass es für Nutzerinnen und Nutzer von DokuMet QDA einen Mehrwert beim Interpretieren darstellt.

Für eine solche Software besteht unseres Erachtens ein großer Bedarf, da sie die menschliche Fähigkeit zu Interpretation, Intuition und Abduktion mit der Maschinenfähigkeit zur komplexen Verarbeitung und überraschenden Rekontextualisierung von großen Datenmengen aus unstrukturierten Alltagsinformationen kombiniert. Sie stellt somit einen wichtigen methodisch akzentuierten Forschungsbereich im Kontext der menschzentrierten Entwicklung und Bewertung von Technik dar, da hier genuin humanwissenschaftliche Expertisen mit Wissensbeständen aus der Informatik kombiniert werden. Aus techniksoziologischer Perspektive kann man durchaus von einem »Hybridakteur« (Latour) menschlicher »Akteure« und nichtmenschlicher »Aktanten« sprechen, die zusammen etwas Neues entstehen lassen, was ohne die Technologien nicht entstanden wäre. Insofern verbergen sich in der Fragestellung auch weitreichende erkenntnistheoretische Implikationen im Hinblick auf die Medien- und Technologieabhängigkeit menschlicher Erkenntnis.

Kontakt

Logo der Universität der Bundeswehr München

Projektleitung

Prof. Dr. Burkhard Schäffer
Universität der Bundeswehr München
Fakultät für Humanwissenschaften
Erwachsenenbildung/Weiterbildung

Tel.: +49 89 6004-3118
E-Mail: burkhard.schaeffer@unibw.de
www.unibw.de


Projektmitarbeiter

Fabio Lieder
Universität der Bundeswehr München
Fakultät für Humanwissenschaften
Erwachsenenbildung/Weiterbildung

Tel.: +49 89 6004-3116
E-Mail: fabio.lieder@unibw.de
www.unibw.de

Wissenswertes zu KISOFT

Publikationen


Schäffer, B. & Lieder, F. R. (2023).:
»Distributed interpretation – teaching reconstructive methods in the social sciences supported by artificial intelligence«. In: Journal of Research on Technology in Education, 55 (1), 111-124. https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/15391523.2022.2148786


Lieder, F., Schäffer, B. (2023).:
Vermittlung rekonstruktiver Sozialforschung durch künstliche Intelligenz – auf dem Weg zu hybriden Konzepten des Lehrens und Lernens. In: Journal für Psychologie, 31 (2), 131-154. https://doi.org/10.30820/0942-2285-2023-2-131


Lieder, F. R. (2023).:
Orientations toward AI-assisted research practices. In: merzWissenschaft, »2023/06: Der Generationenbegriff in Medienforschung und Medienpädagogik« https://www.merz-zeitschrift.de/alle-ausgaben/pdf/fabio-lieder-orientations-towards-ai-assisted-research-practices/


Schäffer, B. (2022).:
Möglichkeiten und Grenzen der Optimierung von Verfahren Tiefer Interpretation durch Softwareunterstützung. In: ZQF, Zeitschrift für qualitative Forschung, 1-2022, 30-49. https://doi.org/10.3224/zqf.v23i1.04


Links


Software: www.dokumet.de


KI Anwendung DokuMet AI: https://dokumet.de/dokumet-ai


Kooperationsbeteiligte

Universität der Bundeswehr München
Fakultät für Informatik
Forschungsinstitut CODE
Professur für Usable Security und Privacy

Prof. Dr. Florian Alt
go.unibw.de/usec

Universität der Bundeswehr München
Fakultät für Humanwissenschaften
Methodenlehre und Evaluation

Prof. Dr. Timo von Oertzen
www.unibw.de/hum-psychologie

Projektbeteiligte des HUMTEC Konsortiums

Universität der Bundeswehr München
Institut für Bildungswissenschaften
Professur für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Medienbildung

Prof. Dr. phil. habil. Manuela Pietraß
Tel.: +49 89 6004-3102
E-Mail: manuela.pietrass@unibw.de
www.unibw.de/medienbildung