»dtec.bw hat die Funktion, uns technologisch ›vor die Welle‹ zu bringen«

9 März 2022

Der Stellvertreter des Inspekteurs der Luftwaffe, Generalleutnant Dr.-Ing. Ansgar Rieks, verband seinen Besuch an der Universität der Bundeswehr München (UniBw M) mit der Möglichkeit, sich über das Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr (dtec.bw) zu informieren. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Eva-Maria Kern, Vizepräsidentin für Forschung, wissenschaftlichen Nachwuchs und nachhaltige Entwicklung an der UniBw M, stellte als Wissenschaftliche Direktorin und Sprecherin des dtec.bw das Zentrum vor. Im Rahmen des Besuchs und des Austauschs stellte sich GenLt. Dr.-Ing. Rieks einem kurzen Interview:

Herr General, als Beauftragter für die Digitalisierung der Luftwaffe: was bedeutet Digitalisierung ganz aktuell für Sie, die Bundeswehr allgemein und die Luftwaffe speziell? Welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie?

General Dr.-Ing. Rieks: Erst einmal herzlichen Dank, dass ich hier am dtec.bw zu Gast sein darf und in die Vorgehensweise, die Ziele und die Projekte von dtec.bw Einblick nehmen darf. Viele Entwicklungen um uns herum werden vor allem durch die Digitalisierung geprägt. Für die Bundeswehr – und insbesondere für die Luftwaffe – ist das insofern herausfordernd, als dass wir diese Entwicklungen in unsere Fähigkeitsentwicklung einbeziehen müssen, um bestehen und unseren Auftrag erfüllen zu können. Gerade angesichts des Angriffs der russischen Streitkräfte auf die Ukraine können wir sehen, wie moderne Technologien zum Einsatz kommen. Digitalisierung prägt dabei alle Dimensionen. Zugleich können wir aber auch die Möglichkeiten und Potenziale sehen, die die Digitalisierung uns bietet. Sie lässt uns besser aufklären und verschafft uns ein umfassendes Lagebild; sie lässt unseren Waffeneinsatz präzise und zeitgerecht sein; sie ermöglicht es uns, mit allen Dimensionen abgestimmt vorzugehen. Ich bin daher ein Verfechter, Digitalisierung in der Bundeswehr vor allem vom »scharfen Ende« her zu denken. Und abschließend: während wir früher in die Waffensysteme die notwendige Digitalisierung eingebracht haben, entsteht mehr und mehr die Notwendigkeit, erst die digitale Architektur zu entwickeln, und dann erst das Waffensystem zu konzipieren. Mein Fazit ist: ja, die Herausforderungen der Digitalisierung sind enorm, und unsere Gegner nutzen diese Chance, aber wir werden das auch tun. dtec.bw schafft mit seiner Forschung hier eine sehr wichtige Grundlage.


Mit dem Stichwort »Digitale Souveränität« wird viel über die eigenen staatlichen Handlungs- und Selbstbestimmungsfähigkeiten diskutiert. Wie definieren Sie digitale Souveränität und wo sehen Sie Handlungsbedarf? Welche Technologien werden aus Ihrer Sicht künftig entscheidend?

General Dr.-Ing. Rieks: Für mich ist digitale Souveränität zunächst ganz einfach die Souveränität in der Digitalisierung. Das klingt banal, ist es aber nicht. Ich bin dann souverän, wenn meine digitalen Anwendungen auch dann funktionieren, wenn Andere es unterbinden wollen. Das ist der operative Aspekt. Ich bin ferner souverän, wenn ich eigenständig digitale Lösungen entwickeln und in die Realität überführen kann. Das ist der Forschungs- und Beschaffungsaspekt. Und ich bin letztlich auch dann souverän, wenn ich eine Versorgungssicherheit für meine digitalen Produkte garantieren kann. Das ist der Herstellungs- und »Ersatzteile«-Aspekt. Darüber hinaus gilt: Eine Resilienz ist immer auf eine »Organisation« hin ausgerichtet. Es ist viel einfacher, eine europäische Resilienz zu garantieren, als eine deutsche. Es ist viel einfacher, eine deutsche Resilienz herzustellen, als eine für die Bundeswehr. Am Ende kommt es darauf an, dass die jeweilige Organisationseinheit funktioniert. Zusammenfassend glaube ich: Resilienz muss in der Bundesrepublik Deutschland entstehen. Eine europäische wird an nationalen Egoismen scheitern, eine Resilienz der Bundeswehr an unserer Verflechtung mit Industrie und Wirtschaft. Um noch auf die Frage der entscheidenden Technologien einzugehen, kann ich es mir einfach machen: Ich sehe keine sich schnell entwickelnde Technologie, die für die Streitkräfte und die Luftwaffe nicht entscheidend wäre. Ja, wir müssen da in allen »Lufträumen« fliegen. Schwerpunkte sind aber definitiv die Entwicklungen in der Digitalisierung und in dem Zusammenwirken von Systemen, den sog. System of Systems-Ansätzen, und daher auch dem Zusammenwirken von Technik und Menschen; ein wichtiges Feld ist also das des Manned-Unmanned-Teamings.


Das dtec.bw wurde spezifisch gegründet, um die Forschung der Universitäten der Bundeswehr in den Bereichen Digitalisierung und den damit verbundenen Schlüssel- und Zukunftstechnologien zu bündeln und substantiell zu fördern. Wie sehen Sie das Zentrum und seine Rolle? Was zeichnet das dtec.bw besonders aus?

General Dr.-Ing. Rieks: Zunächst, wer immer dtec.bw erfunden hat, war überaus weitsichtig und auch für den Bedarfsträger Bundeswehr denkend – auch wenn wir natürlich berücksichtigen müssen, dass hier keine wehrtechnische Auftragsforschung als solches stattfindet. Schlüssel- und Zukunftstechnologien spielen heute schneller und gezielter eine Rolle als früher. Wir erleben, dass sich Technik schneller entwickelt, dass Zyklen sich beschleunigen, und dass die Anwendung spiralmäßig verläuft. Es also »auf die lange Bank« zu schieben, Technologien zu entwickeln und nicht nutzbar zu machen, wäre fatal. dtec.bw hat daher zunächst ganz einfach die Funktion, uns technologisch »vor die Welle« zu bringen. Wenn Sie nun gerade mich fragen, werden Sie nicht verwundert sein, dass ich für die enge Kopplung und Begleitung durch die künftigen Anwender und – wie wir es sagen – Bedarfsträger werbe. Dadurch wird Forschung nicht unfrei, sie orientiert sich vielmehr auf ein Ziel hin; dieses Ziel heißt, Bedarfsträgern, wie der Bundeswehr in ihrer Zukunftsentwicklung eine Grundlage zu geben. Sie merken, es bedarf des Dialoges – bei aller garantierten Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von Forschung, auch hier an den Universitäten der Bundeswehr. Deshalb bin ich hier. Die Luftwaffe ist hier für dtec.bw ein guter Partner. Das ist sie in der Digitalisierung, in allen Projekten der Dimension Luft, aber auch des Weltraums.


Das dtec.bw schafft gezielt Rahmenbedingungen, um technologischen Fortschritt und Innovationen zu ermöglichen und um Forschung »auf die Straße« zu bringen. In welchen Bereichen wünschen Sie sich Innovationen und wie können Bedarfsträger aus Ihrer Sicht von dtec.bw als Innovationstreiber profitieren?

General Dr.-Ing. Rieks: Mit etwas Schmunzeln mag ich auf Ihre Frage antworten, dass die »Straße« für mich nur begrenzt eine Rolle spielt; vielmehr bringt dtec.bw den Schub »in die Luft«. Ich komme gerade vom Forschungszentrum MARC, dem Military Aviation Research Center an der UniBw M, das u. a. auch ein dtec.bw-gefördertes Forschungsprojekt verantwortet. Wir haben dort eine interessante und spannende Symbiose, die Forscher und Operateure unmittelbar zusammenwirken lässt. Wo macht sich das für die Luftwaffe, oder besser für die Dimension Luft und Weltraum, bemerkbar? Überall dort, wo wir künftig in einer »dichten Datenwelt« in Konfrontationen in der Luft nur dann bestehen, wenn wir bemannte und unbemannte Systeme koppeln. Es ist übrigens eine mehr als komplexe Forschungsfrage, wie, wo und in welcher Funktion wir den Menschen in seiner Verantwortung einbinden. Ihre Frage, wo ich mir die Innovationen wünsche, ist also einfach zu beantworten: im systemischen Zusammenwirken der Teilfähigkeiten. Zugleich ist es eins der schwierigsten Themen. Das gilt übrigens auch für die Technologien, die in den Weltraum hineinreichen oder dort eingesetzt sind. Erlauben Sie mir aber noch eine kleine Perspektive auf die fernere Zukunft: wir führen das Wort »Joint All Domain Operations (JADO)« schon häufig im Mund. Es ist nicht immer klar, was wir darunter genau verstehen. Wenn wir aber für eine erfolgreiche Operationsführung künftig alle Dimensionen in einen gemeinsamen Ansatz und ein gemeinsames »Command and Control« bringen müssen, dann sind alle meine Überlegungen oben erst der Anfang. Und daher möge es für dtec.bw eine Zukunft geben, die zumindest so lange ist, dass wir in diese Welten gemeinsam vorstoßen können. Für einen Elektrotechniker wie mich ist das übrigens eher »spannend« als »Angst-machend«. Nach meinem Besuch hier, denke ich, Sie sehen es an den UniBw und dtec.bw auch so.


Das dtec.bw-Projekt »SeRANIS« leistet mit seiner geplanten Satellitenmission Pionierarbeit für die Raumfahrt und forscht u. a. an 5G-/6G-Technologien. Mit dem dtec.bw-Projekt »MissionLab« bspw. entsteht ein einzigartiges Kompetenzzentrum zur Untersuchung von Missionstechnologien. Und das sind nur zwei Beispiele aus 68 Forschungsprojekten. Welche Erwartungen haben Sie an die dtec.bw-Projekte? Welche Ergebnisse erhoffen Sie sich?

General Dr.-Ing. Rieks: Der Weltraum ist vor einiger Zeit als eine operative Dimension entdeckt und benannt worden. Raumfahrt, aber auch alles, was im Weltraum oder aus dem Weltraum passiert, ist für uns wichtig. Ich bin der Überzeugung, dass wir den Weltraum nicht »militarisieren« sollten und dürfen, aber der Weltraum spielt eine essentielle Rolle für militärische Operationen, für Positionierung und Präzision, für Aufklärung und Lagebild, für Kommunikation und Übermittlung von Daten. Missionstechnologien dieser Dimension bei dtec.bw nicht zu erforschen, wäre also entweder naiv oder gar dumm. Entschuldigen Sie, dass ich das so offen sage: aber ich halte es für selbstverständlich heute, bei einem so breiten und mit einer größeren Summe an Fördermitteln ausgestatteten wissenschaftlichen Zentrum, »Space« einzubeziehen. Wir haben vor Kurzem das Weltraumkommando der Bundeswehr unter der Leitung der Luftwaffe in Zusammenarbeit mit dem Cyber- und Informationsraum verantwortenden Organisationsbereich CIR aufgebaut. Ich empfehle einen engen Schulterschluss mit diesem Kommando – wie wir es in der Dimension Luft bereits haben. Welche Ergebnisse erhoffe ich mir hier? Der Weltraum hat viele Herausforderungen. Einige wenige hier als pars pro toto: Die Zuverlässigkeit von Weltraumsystemen sollte extrem hoch sein. Die Präzision und die Aufklärungsfähigkeit aus dem Weltraum in verschiedenen Frequenzbereichen sollte optimiert werden. Moderne Übertragungstechniken mit hohen Bandbreiten sollten im Weltraum nicht nur existieren, sondern auch resilient gegen Störungen und Cyber-Operationen sein. Und letztlich wäre angesichts der enormen Herausforderungen mit Weltraumschrott und Debris die Lebensdauer von Systemen und die Manövrierfähigkeit deutlich zu erhöhen, bei zugleich sehr niedrigem Energieverbrauch. Aber das ist eine Wunschliste zunächst. Am Ende kommt es mir darauf an, dass wir unsere Weltraumsysteme in den System of Systems-Ansatz, von dem ich oben gesprochen haben, einbeziehen können.


Das dtec.bw ist noch ein recht junges wissenschaftliches Zentrum, das aber u. a. schon 68 Forschungsprojekte gestartet hat und im letzten Jahr in den DARP als größtes europäisches Konjunkturpaket aller Zeiten aufgenommen wurde. Gibt es einen Wunsch, den Sie dem dtec.bw mit auf den Weg geben wollen?

General Dr.-Ing. Rieks: Mit einem leichten Schmunzeln: Bei einer guten Fee hat man zumeist drei Wünsche offen. Sie geben mir einen, also muss er gut überlegt sein. Ich wünsche mir einerseits, dass dtec.bw nicht eine vierjährige Eintagsfliege bleibt, sondern in der Zukunft weitergeführt wird. 68 Forschungsprojekte sprechen eine eigene und deutliche Sprache in ihrer Breite und Tiefe, auch in dem, was noch daraus werden kann. Es sollte also weitergehen. Und andererseits wünsche ich mir, dass die Kooperation mit der Bundeswehr, insbesondere auch mit der Luftwaffe, zumindest so bleibt, wenn nicht ausgebaut wird. Der Austausch für unsere Zukunfts- und Weiterentwicklung zwischen Operateuren, Technikern und Forschern allein kann uns erfolgreich in die Zukunft führen. Das ist angesichts der aktuellen Ereignisse wichtiger denn je.

Sehr geehrter Herr General, vielen Dank für das Gespräch!


Ansprechperson:

André Maier
Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit dtec.bw
Tel.: +49 89 6004-4506
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